Tagebuch

A: Schreiben Sie Tagebuch?

B: Nein, keines, bis heute, vielleicht fang ich einmal damit an, aber bis jetzt hab ich keines gebraucht.

A: Sie haben Recht. Man braucht es nicht. Aber es fängt mit leeren Seiten und Zeiten an. Sie liegen vor und provozieren, fordern und fordern heraus.

B: Leere Seiten kenne ich nicht. Ich lese keine Bücher, Tagebücher schon gar nicht. Leere Seiten haben keine Chance.

A: Die Tagebuchverfasser finden in der leeren Seite einen Spiegel, ein Gegenüber, das ihnen im täglichen Geschäft nicht begegnet oder abhanden gekommen ist. Vielleicht führen Sie gewohnheitsmäßig zu wenig Selbstgespräche, aus denen Ihnen dämmern könnte, was Sie sind und was ihnen fehlt. Habe ich Recht?

B: Unsinn, nicht Leere, die Leere von Buchseiten oder Spiegeln ist mein Problem und mein Gegenüber, sondern Überfüllung, das Schwirren der Reize, die Unordnung, die ein diffuses Begehren und Trachten ins Spiel bringt. Sonst eigentlich nichts. Meine Sehnsucht geht nach ordentlicher Fülle, nicht nach Leere.

A: Respekt oder Hut ab, chapeau! wie es so schön anerkennend heißt.

Die Konfessionen sind in Auflösung begriffen, die Beichtväter in den Kirchenstühlen sind abgeschafft. Sie waren ja auch nur ein schlechter Ersatz für das Medium Tagebuch, das bereits Augustinus in Gestalt seiner Confessiones nicht umhin konnte, zu führen. Ein mutiger Mann, sein Tagebuch zwischen Intimität und Öffentlichkeit so wirkungsvoll und nachhaltig anzusiedeln!

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