nachgedunkelte Figuren

Weiße Figuren auf schwarzen Sockeln. Hier stehen sie überall herum. Jetzt sind sie nachgedunkelt. Ihre Bedeutung ist verloren gegangen. Man hat gehört, es seien Wegweiser. Aber in unserer Zeit des schnellen Verkehrs findet doch kein Mensch mehr Zeit, sie zu befragen. Sie stehen auf Sockeln und unter den Sockeln muss es so etwas wie ein Kugellager geben. Sie sind nämlich beweglich und wendig auch in unebenem Gelände. Ja, ihre Beweglichkeit ist erstaunlich. Es kann einem schon der Gedanke kommen, dass sie den vorbeisausenden Fahrzeugen, vom Zweirad bis zum Jeep oder Kettenfahrzeug mühelos nachsetzen könnten. Aber warum auch? Sie lassen es bleiben.

Es scheint, dass sie nichts darstellen. Sie erinnern im steilen Gegenlicht an Pfähle mit merkwürdigen Physiognomien und Ansätzen in Schulterhöhe, die man als Arme oder Flügel weiterdenken kann. In der Dämmerung neigt man dazu, sie für Totempfähle zu halten. Gewiss sind sie nicht nur gewachsen, wie Holz, sondern erwecken einen durchaus gemachten Eindruck. Das legt schon der Umstand nahe, dass der Mechanismus ihrer Fortbewegung kein natürlicher sein kann. Rollen oder Kugellager, wie wir sie vermuten, mögen zwar in der Natur vorkommen, wie zum Beispiel auch Räder mit Speichen unter den Strahlentierchen gesehen worden sind, aber sie finden nirgends Einsatz als Mittel der Fortbewegung.

An dieser Stelle können wir uns fragen, warum wir uns überhaupt mit ihnen beschäftigen. Wenn sie ihren Sinn und ihre Bedeutung verloren haben, für sich, welche Bedeutung und welchen Sinn haben sie dann noch für uns? Dass sie wie Irrwische oder Derwische gelegentlich auftauchen, den einen sichtbar, den anderen noch niemals erschienen, sollte uns bedenklich stimmen.
Stecken wir manchmal nicht alle unter einer schwarzen Decke, die seitlich herabhängt wie das lichtabweisende Tuch, das die ersten Photographen über ihre Köpfe und über den Kamerakasten hängten?
Und unser Denken und Forschen, bewegt es sich nicht meistens hinter zugezogenen Vorhängen?

Die Existenz nicht existierender Dinge ist schwer zu beurteilen und noch schwerer zu begründen.
Vermutlich gehören die weißen Figuren in diese Kategorie.

Kommen wir auf die anfangs geäußerte Vermutung zurück, es handle sich um einstige Wegweiser. Figuren, beseelt oder unbeseelt, die uns in unterschiedlichen Momenten und Anliegen zeigen, wo es lang geht, sind nicht uninteressant. Sie haben Belang. Vorausgesetzt, sie existieren, vorausgesetzt, sie treten aus der Wirklichkeit, die sie aufgenommen hat, nicht einfach zurück. Und angenommen, es gibt Richtungen und Wege, die weisenswürdig sind oder jedenfalls gewiesen werdenkönnten.

Seien wir nüchtern und sachlich: haben wir in ihnen mehr zu sehen als Seufzer einer verlassenen, einer verirrten Phantasie? Könnten sie uns weiterhelfen, wenn wir zum Beispiel in den Wüsten Gobi oder Sahara verloren gegangen wären zwischen Dünenkämmen und Sandschluchten?
Würden sie herbeigerollt kommen auf dem hochsommerlich kochenden Asphalt New Yorks, wenn wir den Weg zum Metropolitan suchen?
Das sind keine rhetorischen Fragen. Sie rühren ans Holz, aus dem die Figuren gewachsen sind und gemacht.

Auf den Rollbahnen von Kennedy Airport oder Kuala Lumpur schweben und rollen sie an zum Empfang all derer, die sich dort verirrt haben. Es scheint, dass sie Erbarmen kennen und Zufall.
Es könnte beinahe sein, dass ihr Wegweisen, bei aller gestischen Stummheit, inzwischen aufgestockt ist und auf höheren Stufen entlangführt, verteilt über Plateaus, die sich ins Erhabene heben.

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