Traum: zurück in die Fabrik

dias0065_kl.jpg       Heute geht es in die Fabrik. Nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder, und wer weiß für wie lange. Erst durch die Vorstadt. Dann verläuft die gerade und menschenleere Straße irgendwo ans Meer, verengt sich, verliert sich, schließlich schier unwegsam, von allen Seiten überwachsendias0066_kl.jpg. Die Zeit drängt, die Uhr geht auf 12 zu. Und doch kommt man immer langsamer voran.

Gras und Kraut reichen bis an die Hüften.

Man wäre stecken geblieben und irre geworden, ob dies wirklich der Zugang zum Hauptportal sei, wenn da nicht noch zwei andere gewesen wären, auch sie augenscheinlich auf dem Weg zur Arbeit in die Fabrik. Der Mann überholt und pflügt mit einem Rad durchs Gras. Wo er vorweggefahren ist, wird eine schmale, aber ausreichende Fahrspur sichtbar. Dann noch jemand weiter hinten, ein winziger Punkt, unverkennbar und doch kaum zu erkennen. Aus der gebirgigen Küstenlandschaft tauchen einzelne Gebäude der großen Industrieanlage auf. Die meisten aus dunkelroten Ziegeln im Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Das Pförtnerhaus ist erreicht. Es liegt senkrecht über dem Meer, dicht an der Kante, die steil in die Brandung hinabfällt. Im Warteraum, dessen Fenster sich übers Meer öffnen, sind ein paar ausländische Besucher versammelt. Dort fragt man sich zu der Abteilung durch, wo die Arbeit aufgenommen werden soll. Ein Prokurist hilft weiter. Vor Ort gibt der Mann von der Frühschicht, die um 12 Uhr zu Ende geht, kurze Verhaltensanweisungen. Es müssen andere Schuhe angezogen werden, die der Betrieb stellt. Die eigenen Schuhe, obwohl von derber Machart, könnten sich bei der Tätigkeit auflösen. Ein spezielles Material, aus dem dies Fußzeug gefertigt ist. Eher Sandalen als Schuhe. Sie werden mit einem Faden über dem Spann zugeknotet. Es soll schnell gehen, da reißt das Band und muss mühsam nachgefädelt werden.Die aufgenommene Tätigkeit erinnert an frühere Lohn- und Aushilfsarbeiten. Große Mengen von abgeladenem Verpackungsmaterial müssen umgestapelt werden. Dabei bedient man sich einer langen Forke, spießt das Zeug auf und befördert es seitwärts auf eine große Halde. Die Leute, deren Arbeit jetzt fortgesetzt werden muss, haben auf einem still stehenden Förderband entlang in die Tiefe gegraben. So ist ein Stollen entstanden, zu seinem Ende hin eingefallen und durch herabgestürztes Material schwer zugänglich geworden. Kein Anblick, der zur Arbeit ermutigt. Ausgeschüttete weiße Farbe rinnt  in dicken Strömen über den Boden, über das schwarze Gummi des stehenden Fließbandes. Die halbtrockene zähe Flüssigkeit verklebt Pappen, Blasenfolien, Kartons, Schaumstoffe und Stahlbänder, die mit der Gabel weggeschafft werden sollen. Man bleibt mit den Schuhsohlen in der Farbe hängen und verflucht die nachlässige Arbeitsweise der Vorgänger. Am oberen Ende ist der Umkleideraum. Ein Mensch steht dort mit einer Tüte in der Hand. Mit den Fingern der anderen holt er sein Mittag daraus. Die Tüte ist aus braunem Packpapier und läuft nach unten spitz zu. Plötzlich sitzt ein Insekt direkt vor seinem Gesicht auf dem Apfel, in den er gerade beißen möchte. Der Mann hält inne und schaut es sich an, flach und hellgrau, ähnlich einer sandfarbenen Blattwanze. Dann bläst er dagegen. Das Insekt fällt auf den Boden und in einer Art Schreck- und Abwehrreaktion vervielfacht es beim Aufprall sein Volumen. Auf einmal die Größe einer Handfläche. Es muss sich zuvor im Abraum der Halde, zwischen all den Pappen und Kartons aufgehalten haben. Die lagern ja schon seit Ewigkeiten dort. Niemand von den Leuten im Raum möchte es zertreten oder totschlagen, bis irgendjemand rasch zupackt und es durch einen Fensterspalt nach draußen befördert.

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